Pressespiegel


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Konzert der Hoffnung für eine zerrüttete KrankeDieter Albrecht / 09.09.13 / TA

Musikalisch ermunterte Alexej Barchevitch am Denkmalstag die Gothaer, die Ausstellungshalle nicht sterben zu lassen.
Es waren sehr viele Gothaer, die sich am Denkmalstag vor dem Seiteneingang zur Ausstellungshalle oberhalb der Orangerie drängten. Im Innern spendeten zwei Kerzen auf Kandelabern und einige Teelichte am Boden so viel Licht, dass man gerade mal die Hand vor Augen sehen konnte.
Die Idee, dieses "unbequeme Denkmal" auf spezielle Weise ins Bewusstsein zu rücken, hatte Alexej Barchevitch, Philharmonie-Konzertmeister und 1. Vorsitzender der Europäischen Louis-Spohr-Kulturgesellschaft. Er spielte in der arg heruntergekommenen Halle, die aber über hervorragende akustische Eigenschaften verfügt, Johann Sebastian Bachs berühmte Partita d-Moll für Violine solo.
Die dem Verfall entgegendämmernde Halle hat eine bewegte Geschichte. Darüber informierte Denkmalschützerin Sigrid Lehniger vom Stadtplanungsamt: Nachdem 1901 das Kulissenlager des Gothaer Theaters, das ehemalige Kornhaus, abgebrannt war, wurde es am 15. September 1907 als Herzogliche Kunsthalle wiedereröffnet. Im 1. Weltkrieg war dort ein Lazarett untergebracht. Zum Ende des 2. Weltkriegs, am Abend des 3. April 1945, soll Oberstleutnant von Gadolla von hier aus, der Befehlsstelle der Stadt, aufgebrochen sein, um den Amerikanern entgegenzufahren und ihnen gegenüber die bedingungslose Kapitulation der Stadt zu erklären. Eine der letzten großen Ausstellungen fand 1949 hier statt: "Gotha in der Goethezeit". Weniger bedeutende Ausstellungen gab es noch später, etwa mit Schülerarbeiten aus dem Kunsterziehungsunterricht.
Ab 1963 bis in die Neunzigerjahre nutzte die Gothaer Fachschule für Finanzwirtschaft das Gebäude als Turnhalle. 1999 begannen im Auftrag der Stadtverwaltung Sicherungsarbeiten, und der beginnende Schwamm wurde beseitigt.
Inmitten der deutlichen Zeichen des Verfalls also ließ Alexej Barchevitch ein herausragendes musikalisches Meisterwerk erklingen, das sich in seiner zeitlosen Gültigkeit diesem Verfall ideell entgegenstellte.
Allemande, Courante, Sarabande, Gigue - an die übliche Satzfolge einer Suite hat Bach seine den Rahmen sprengende Chaconne angehängt, ein überaus erfindungsreiches Variationswerk, das zu dem technisch Schwierigsten der Violin¬literatur zählt. Von ein paar wenigen, leider aber sehr störenden Dauerquasselstrippen im Hintergrund abgesehen, nahmen die Denkmalsbesucher Barchevitchs überzeugende und mitreißende Interpretation dankbar und gerührt an und quittierten sie mit langem Beifall.
Die mit schmerzlicher Geste vorgetragene Sarabande, sagte Barchevitch, sei Ausdruck der Trauer um ein verfallendes Denkmal. Die Chaconne aber verkörpere für ihn Hoffnung: "Dieses Stück hat schon viele Wunder vollbracht. Wir können es zumindest probieren." Probieren - das heißt in diesem Fall, sich denen anzuschließen, die sich der Bewahrung von Kultur verschrieben haben. Zum Beispiel der neu gegründeten Europäischen Louis-Spohr-Kulturgesellschaft. Wer sich für eine Mitgliedschaft interessierte, konnte sich nach dem improvisierten Konzert an die stellvertretende Vorsitzende, Michaela Barchevitch, wenden, die Ehefrau des Musikers. Sie hatte vorsichtshalber einige Antragsformulare mitgebracht.